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„Die Kinderabschieber“, eine Abhandlung

Hier nun endlich die kommentierte die Fassung der Veranstaltung vom 29.2.2024 im Bellevue Di Monaco. Die Zeit seit dem hat das Thema nicht altern lassen, man schaut in der Öffentlichkeit nur weiter nicht hin.

Stefan Haas, Seebrücke Dachau: „Ich hoffe, dass dies ein gelungener Abend wird und wir dann rausgehen können und sagen, ok, wir müssen etwas machen und wir können etwas machen.

Rex Osa, refugees4refugees, mit eigenem Videobeitrag und einen Einblick in seine Arbeit. Es muss Hilfe geben, wenn man diese Menschen von einem Tag auf den anderen in große Not und Gefahr bringt.

Ein Mädchen (13) aus der Nähe von Rosenheim berichtet: ‚Ich war in der deutschen Schule, meine Noten waren so gut und habe mich schon darauf gefreut mein Zeugnis zu sehen. … Im Flugzeug waren viele andere Leute. Einer Frau wurde ihr Kind weggenommen. … Nach sieben Stunden Flug waren wir da (in Lagos) und hatten gar nichts.

Eine junge Frau (15) berichtet: ‚Sie haben uns wie Kriminelle behandelt.‘ Man hat ihr aber gesagt, sie müsse sich keine Sorgen machen … man wollte den Kindern Süßigkeiten geben, ihre Schwester ist 12 Jahre. Sie waren getrennt von der Mutter.

Rex Osa: ‚Abschiebung allgemein ist brutal, aber für Kinder ist es noch schlimmer.’ Es bleiben traumatische Erlebnisse.

Sophia Eckert, Rechtsexpertin bei terre des hommes

Es passiert was Kinderrecht eigentlich versucht zu verhindern, eben diese zugefügten Traumata. Deutschland wird dem nicht gerecht.

Sophie referiert über die Gesetzeslage und die Praxis.
17% der Abgeschobenen waren 2022 minderjährig. Tendenz 2023 steigend für den Anteil der Kinder.
Man kann davon ausgehen, das die Vorgaben der Kinderrechtskonvention nicht eingehalten werden.
Neue deutsche Gesetzeslage seit 26.2.2024 ist kein verbesserter Schutz für Minderjährige. Bei unbegleiteten Minderjährigen, reicht es aber nicht sie einfach im Abschiebeland zu übergeben. So nach Gerichtsurteil EuGH. Dessen Einwände mussten auch in deutsches Recht übersetzt werden. Und diese Rechtsvorgaben werden in der Praxis dennoch nicht immer beachtet.

Aufenthaltsgesetz und Kinderrechtskonvention sind gleichrangig, stehen auf der gleichen Stufe.

Kinderrechtskonvention ist einklagbar, ohne Wenn und Aber.

Dieses Recht muss bei jeder Maßnahme, insbesondere auch bei Abschiebungen, beachtet werden. Kindeswohl wird in der UN-Charta weit umfangreicher betrachtet als in Deutschland. Sophie zählt die Vorgaben der Kinderrechtskonvention im Detail auf. Diese sind auf die Zukunft jedes einzelnen Kindes persönlich ausgerichtet. In Deutschland gibt es aber nach ihrer Erfahrung kein einziges Verfahren, nach dem eine Rückkehrentscheidung zum Wohle eines Kindes verfügt wurde.
Wenn das Rechtsgut Kindeswohl übergangen wird, müsste dies nach Rechtslage ausreichend begründet und schriftlich dokumentiert werden. Das passiert wohl nicht.

Die Art und Weise wie abgeschoben wird, insbesondere in der Nacht, ist weiter fragwürdig. Neue Gesetze „(Rückkehrverbesserungsgesetz“) stützen leider diese Unverhältnismäßigkeiten. Zwangsmaßnahmen sind oft traumatisch. Etwa auch, wenn direkt aus Schule oder Kita, einem an sich sicheren Raum, abgeholt und direkt abgeschoben wird.


Präsentation/PDF

Das Fazit von Sophia folgt noch in folgendem Videoabschnitt. U.a.
Familientrennungen sind aus Kinderrechtssicht ein absolutes NoGo.

Julie Richardson, Dipl.-Psych. und systemische Familientherapeutin

Sie berichtet vom Fall der Familie Esiovwa im Rahmen ihres Berufes und dann ihres eigenen Engagements.
Kinder sind unsere Zukunft und glückliche Kinder sind Garanten für eine gute Zukunft’.
Eigentlich gibt es eine gute Entwicklung in den Kinderrechten und in den Einrichtungen. Daher hat dieser Rückschlag mit der nächtlichen Abschiebung umso mehr weh getan.
Sie berichtet auch von ihren eigenen Kindheitserlebnissen, die sie geprägt haben. Sie kam mit zweieinhalb Jahren nach Deutschland.

Mit Gabriel Esiovwa hatte sie seit 2018 ein Kind in Betreuung, das mit Beeinträchtigungen leben muss, autistisch geprägt überfordert ist, aber sich sehr gut entwickelt hat. „Ich würde sogar sagen, dass Gabriel eine Erfolgsgeschichte war.“ „Er war glücklich, er war richtig angekommen.

Die Eltern waren eindeutig traumatisiert. ‚Der Mutter war es nicht möglich ohne Tränen über ihrer Vergangenheit zu erzählen.‘ Aber, ‚Die Familie war sehr zuverlässig.‘ Von den Problemen zum Bleiberecht hat Julie erst im Laufe der Zeit erfahren. Die Behörden haben ihr nicht geholfen, ihre Anfragen ‚schlichtweg ignoriert‘.
Die Autoimmunerkrankung von Herrn Esiovwa ist ernsthaft, in Deutschland gut behandelbar, in Nigeria nicht. Julie hat sich dann 2022 eingeschalten, mitgearbeitet die Unterlagen für die Härtefallkommission zu sammeln, Kontakte auch zur Anwältin und zum Bayrischen Flüchtlingsrat geknüpft.
In der Zeit hat sich auch die Krankheit der Mutter, Frau Ilhobe, eingestellt. Eine Wucherung im Bauchraum. Die Ausländerbehörde hatte zugesichert, dass man die Diagnose dieser Krankheit auf jeden Fall abwarten würde. Darauf hat man sich verlassen, die Behörde hat aber gelogen.
Ich war wirklich schockiert.

Seit diesem 12.Juli 2022 werden die Sorgen um die Familie Esiovwa nicht kleiner.

Michael Schrodi, MdB aus Dachau/Fürstenfeldbruck

Michael Schrodi hat sich in Dachau über die Abschiebung einer Familie mit Kindern empört, weil es eine Vorgeschichte gab. Im Jahr zuvor wurde ein junger Mann abgeschoben, der gut integriert über Jahre in einer Bäckerei gearbeitet hatte. Der Vorfall hat in der Presse und der Öffentlichkeit großen Widerhall gefunden. Daraufhin hatte man gemeinsam auch mit Helferkreisen versucht, in Dachau mit dem Ausländeramt zu kooperieren, auch im Vorgriff auf das Chancenaufenthaltsrecht. Dazu war also auch Michael Schrodi bereits in Gesprächen. Damals muss dem Ausländeramt Dachau klar gewesen sein, dass es genug rechtliche Möglichkeiten, das Schicksal der Familie Esiovwa anders zu beeinflussen, gab. Das Landratsamt hatte signalisiert, dass man die Möglichkeiten nicht noch provokant ausreizen wolle. Bei der Familie Esiovwa stand ein Härtefallverfahren an. Man kann behaupten, dass das Landratsamt genau das Gegenteil vom dem gemacht hat, was es selbst in Aussicht gestellt hatte.
Mehrmals, was man im Nachhinein in den Akten lesen konnte.
Ich bin Vater von zwei Kindern, das hat mich auch persönlich getroffen.
Es ist in dem Fall offensichtlich, dass Menschen noch auf den letzten Drücker abgeschoben werden sollten, die sonst eine Aufenthaltsgestattung bekommen hätten. Und das macht einen schon … wütend.

Auch er möchte so viel öffentliche Aufmerksamkeit für diesen Fall, dass solche Abschiebungen nicht mehr so einfach ‚durchzuziehen‘ wären.
Seine Fachkompetenz liegt eigentlich in der Finanzpolitik, dennoch legt Michael Schrodi sein politisches Gewicht auch in diesem Bereich der Asylpolitik in die Waagschale.

Verena Machnik, Politik- und Kommunikationswissenschaften, mit Fragen an die Diskutanten.

Sophia Eckert: ‚Die Kindeswohlprüfung hätte eindeutig ergeben, dass die Rückführung nicht im Sinne des Kindeswohl ist. Deswegen hätte keine Rückführungsentscheidung erlassen werden dürfen, wenn man die Kinderrechtskonvention ernst nimmt.

Julie Richardson spricht über die Folgen bei den Kindern der Familie Esiovwa.
Was jetzt stattfindet ist etwas wie ein Backlash in Bezug auf Kinderrechte’. Sie zählt auf was hier alles schief geht, wie sehr die Menschen nun darunter leiden. Rechte spielen kaum noch eine Rolle sie gehen dramatisch verloren. Ohne Spendengelder wäre die Familie untergegangen. ‚Resignationssyndrom‚ ist nur einer von vielen Stichpunkten.
Und im Nachhinein habe ich auch erfahren, dass sie bei der Härtefallkommission durchgekommen wären … wenn die Zeit gewesen wäre.
Gabriel ist jetzt traumatisiert, er hat Traumafolgestörungen. ‚Das ist jetzt einfach so.

Rex Osa greift nochmal auf, was bei diesen Abschiebemaßnahmen passiert. Gewalt und die Leute als Kriminelle behandeln, ist üblich.
Die Kinder tragen das Trauma lebenslang, es ist eine zerstörte Zukunft.“ Er schildert den Fall einer abgeschobenen Mutter mit autistischem Kind, die Menschen waren komplett verstört und hilflos.

Michael Schrodi wird mit dem Satz ‚Wir brauchen Hoffnung.‚ konfrontiert. Bei der Härte der Abschiebung, den zynischen einhergehenden Begebenheiten, findet er lange keine optimistischen Worte. Die vielen Ansätze, die man versucht hat die Hürden für eine Rückholung abzubauen, verlaufen weiter ohne Erfolg. ‚Die rechtlichen Mittel sind relativ dünn.‚ Was bleibt ist die Familie vor Ort zu stabilisieren, weiter den Schulbesuch zu ermöglichen.

Fragen aus dem Publikum: ‚Treffen sie sich (zu der Sache) mit ihren Parteikollegen oder dem Bundeskanzler?‚ Die Frage nimmt Bezug darauf, dass Kinder nicht nur durch Abschiebungen leiden, sondern auch generell durch die Angst davor. Manche Kinder leben schon acht Jahre in Unterkünften und kennen seitdem keine sichere Gegenwart und sichere Zukunft. ‚Von Menschenrechten, auch Kinderrechten, muss man sich in einer Unterkunft in Deutschland verabschieden.‚, so der Fragesteller, der selbst als Geflüchteter nach Deutschland kam.

Michael Schrodi versucht die Zwänge und die schwierige Umsetzung des Rechts anhand des ANKER Zentrums in Fürstenfeldbruck zu beschrieben. Insbesondere bei Familien ‚sind es sehr sehr schwierige Verhältnisse‚.
In Bezug auf die Bundesländer sagt er: ‚Es scheinen manche Länder ein Stück weit mehr die Politik zu verfolgen, durch möglichst schlechte Behandlung (der Geflüchteten) abschreckendes Beispiel zu sein.
Als Beispiel für Symbolpolitik nennt er die Bezahlkarte, die er im Gegensatz zur Linie der SPD sehr kritisch sieht. Er ist klar in der Sache um die sogenannten ‚Pull-Faktoren‚, bei Flucht geht es ‚um ganz andere Dinge‚. Er sieht zum Rechtsstaat insgesamt ‚Nachholbedarf, gerade auch in Bayern.‚ Und er beklagt die Haltung nahezu aller anderen europäischen Länder, gerade auch im Bezug auf Kinderrechte.

Stephan Dünnwald appelliert an Michael Schrodi, dass man in der SPD einmal all die ‚Beschleunigungs- und Verschlimmerungsgesetze‚ seit 2015 einer echten Prüfung unterzieht. Er fordert echte Revision zu den Regeln und Verordnungen der vergangenen Jahre. Er sagt auch klar, dass renommierte westliche Staaten nicht einmal mehr die ‚Basics‘ einhalten, keine Unterkunft, kein Essen, keine Schule, die Menschen schlafen auf der Straße.

Die Erwiderung beginnt überraschend mit einem Rückblick auf die Rede von Maxi Schafroth auf dem Nockherberg am Tag zuvor. ‚Kommt aus Eurer Komfortzone heraus, und redet mal miteinander.‚ Michael Schrodi nimmt hier seine Gespräche mit Bürgermeistern und Kommunalpolitikern mit rein. Die sagen ihm, auch welche von der SPD ‚Ihr müsst was tun.‘ Selbst aus Kreisen der Flüchtlingshelfer kommen diese Stimmen. Er ist also mit komplett gegensätzlichen Strömungen konfrontiert. Und zur europäischen Ebene sagt er ‚Dublin funktioniert nicht‚, man hat auch ‚die Länder an den Außengrenzen im Stich gelassen‚. Mit dem Versuch GEAS trotz aller unterschiedlichen Ansichten in der EU zu etablieren, hofft er auf einen Anfang einer gemeinsamen rechtsstaatlichen und verbindlichen Asylpolitik, die dann auch funktionieren soll.

Für diese optimistische Aussicht wird er deutlich kritisiert. Und Sophia Eckert findet klare Worte. ‚Grund- und Menschenrechte gelten, sie sind in unserem europäischem Grundrecht weiter verankert, sie sind deswegen vor deutschem Recht gültig. Die UN-Kinderechtskonvention, die UN-Behindertenrechtskonvention sind verpflichtend. … Es ist eine Verpflichtung und der Staat ist dazu verpflichtet (dem nachzukommen). Was Rex und seine Organisation machen ist staatliche Aufgabe.‚ …

Das Rückführungsverbesserungsgesetz hat es gerade in einem Gesetz formuliert, was kinderrechtswidrig seit langen in den Bundesländern passiert.Wenn man Grund- und Menschenrechte bricht, kriegt man Rückendeckung durch den Gesetzgeber.Man muss wirklich vorsichtig sein, mit was man spielt. Denn Grund- und Menschenrechte gelten für allefür Kinder, Erwachsene, für Geflüchtete … und wenn sie für eine Gruppe nicht mehr gelten, weil man denkt es passt gerade nicht, dann gelten die für niemanden.
Sie spricht über Berichte über geflüchtete Kinder an den Außengrenzen der EU.
Sie werden in der Regel dort inhaftiert, sie werden gepushbackt, sie erfahren Gewalt … und da macht man einen europäischen Rechtsrahmen der auch diese Rechtsverletzungen europäisch absegnet. … Denn man hat sich gerade dazu entschieden, Menschenrechtsmonitoring an den Grenzen, wo Pushbacks stattfinden, nicht durchzuführen.
Das ist die Einigung und sie ist katastrophal. Sophias Alternative ist es, dass die Kommission Vertragsverletzungsverfahren einleitet. Es ist nicht so schwer nachzuweisen, welche Rechtsbrüche die Staaten begehen. Es ist alles gut dokumentiert. Es ist eine politische Entscheidung dies zu lassen.

Dann sollen halt die Blauhelme einmarschieren und durchsetzen.‘, wird ein Landrat zitiert, der sich ganz offen nicht an die Behindertenrechtskonvention halten will, die Schulen nicht so ertüchtigt, wie es die Gesetze vorsehen. Es sind drastische Beschreibungen mit denen man die Welt erklären will. Man dreht sich letztlich im Kreis.

Es gibt noch weitere Fragen aus dem Publikum. Sophia skizziert, was man als individuelle Person, etwa in Helferkreisen, tun kann. Und man könnte auf allen Ebenen bessere Regelungen einführen.
Und man erwähnt eine Handlungsweise, die seit Februar 2022 gut funktioniert, obwohl man dabei Millionen Kriegsflüchtlinge in Europa aufgenommen hat.

Rechtsstaat und Rechtsweg, wie wird es hier weiter gehen? Welches Recht hat Vorrang?

Man schließt die Diskussion mit Spendenaufrufen. Ohne die gibt es gar keine Hilfe mehr.

Abmoderation

Schlussapplaus

Wir danken allen Beteiligten und Protagonisten für die Mitarbeit zu dieser Veranstaltung, im Hintergrund sehr fleißig besonders Christoph Leischwitz. Und ganz herzlichen Dank an Verena Machnik für die Moderation, sie hat das in der Kürze der Zeit tadellos vorbereitet.

Es ist klar, dass diese Kapitel eine Fortsetzung finden wird, weil wir uns mit den Menschenrechtsverletzungen nicht abfinden können.


Stefan Haas, für die Seebrücke Dachau im Mai 2024